Wertorientierter Einkauf durch strategische Partnerschaft
Erfahrungen, Erwartungen und Chancen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Beschaffungsmanagement rückt die Podiumsdiskussion „Resilienz von Lieferketten durch Kooperation“ am 17. Mai 2023 auf der med.Logistica in den Mittelpunkt. Unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff werden Lehren aus der Corona-Krise und den gegenwärtigen Lieferengpässen gezogen.
Mängel im System
„Lieferabrisse bei Medizinprodukten und Arzneimitteln sind nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Phänomen, das die medizinische Versorgungsqualität unseres Gesundheitssystems erheblich gefährdet“, unterstreicht Univ.-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Leiter des Centrums für Krankenhaus-Management, Universität Münster, und Academic Director am Center for Health Care Management and Regulation, HHL Leipzig Graduate School of Management. „Aktuell liegen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über 450 Meldungen von Lieferengpässen bei Arzneimitteln vor“, so von Eiff. Vom Hustensaft für Kleinkinder über Blutdrucksenker und Antibiotika bis hin zu Krebsmedikamenten reiche die Meldeliste.“ Auch bei Medizinprodukten könne von einer entspannten Marktlage nicht die Rede sein: „Hier sind alle Produktkategorien von Engpässen betroffen, von Bagatellprodukten wie Nierenschalen und Entsorgungsbeuteln über Kitpacks und Wunddrainagen bis zu Angiographiekathetern.“
Lösungen gemeinsam finden
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zahl von Versorgungsengpässen setze sich die Podiumsdiskussion in Leipzig mit der Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten auseinander: „Dies ist die zentrale Herausforderung für das Beschaffungsmanagement auf Krankenhaus- und Industrieseite sowie für die Einkaufsgemeinschaften“, betont Prof. von Eiff. Im Mittelpunkt stehe die Frage, durch welche Maßnahmen die Robustheit von Lieferketten gesteigert werden könne: „Da diese Herausforderung nur gemeinsam durch Anwender, Industrie und Einkaufsgemeinschaften zu bewältigen ist, wirken genau diese Akteure auf dem Podium mit.“ Erwartet werden Christopher Kesel, Senior Director, European warehousing and last mile distribution bei Teva Pharmaceuticals, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Wolfgang Holzgreve, MBA, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Bonn AöR, André Lindner, W. L. Gore & Associates GmbH, Bünyamin Saatci, CEO, Prospitalia GmbH, sowie Michael Zuber vom Stadtspital Zürich Triemli.
Vielfältige Ursachen für Lieferabrisse
Die Ursachen für die Lieferabrisse seien dabei vielfältig. Neben der Abhängigkeit von ausländischen Monopolproduzenten, der Unübersichtlichkeit globaler Lieferketten mit verlängerten Werkbänken in Schwellenländern und der Zunahme geopolitischer Auseinandersetzungen um Rohstoffe spiele das in Deutschland praktizierte „preisorientierte Einkaufsverständnis“ eine große Rolle, erklärt von Eiff: „Billige Produkte mögen eine ausreichende Qualität und Funktionalität bieten, wirken sich aber oft negativ auf Patientenbefinden und Prozessabläufe aus – zum Beispiel in Form längerer Eingriffszeiten und Verweildauern sowie höherer Rezidivrisiken.“ Hinzu kämen Belastungen für Solidargemeinschaft und Krankenkassen: „Kürzere Standzeiten für Implantate – beispielsweise bei Hüften und Schrittmachern – erfordern zeitlich frühere Revisionseingriffe, was das Patientenbefinden verschlechtert und gleichzeitig die Kosten im System erhöht.“
Umdenken nötig
Während der Pandemie hat sich laut von Eiff gezeigt, dass treue Bestandskunden gerade bei Engpässen bevorzugt beliefert wurden. Von daher sei zu besprechen, wie die Liefersicherheit durch Partnerschaftsmodelle zwischen Industrie und Krankenhaus erhöht werden könne. „In diesem Zusammenhang steht ebenfalls die Frage an, inwieweit der in der Schweiz bereits praktizierte Managementansatz des Value-Based Procurement (VBP), also der wertorientierten Beschaffung, dazu beitragen kann, die Lieferketten durch Konzentration auf Medizinprodukte, die einen Mehrwert über den Funktionsnutzen hinaus bieten, zu entlasten.“ Das Publikum der Podiumsdiskussion werde mit der Methodik des VBP-Ansatzes vertraut gemacht und erhalte Informationen über dessen Anwendung in der Beschaffungspraxis. Dies erfordere allerdings ein „völliges Umdenken“ in der Einkaufsphilosophie: „Statt Einkauf ausreichender Funktionalität zu möglichst niedrigen Preisen geht es jetzt um die Beschaffung von Produkten mit Mehrwert für Patient, Anwender, Gemeinde und Umwelt.“
Werteffekte analysiert
Im Rahmen der Podiumsdiskussion wird Prof. von Eiff zudem die aktuelle Studie „Monitoring Einkauf und Logistik“ vorstellen. „Wir haben die Realisierungsvoraussetzungen und Werteffekte ausgewählter Medizinprodukte analysiert – und zwar Produkte, die in ihren jeweiligen Marktsegmenten Qualitätsführer sind“, erläutert er. „Am Beispiel eines zirkulär scheibenförmigen Cardioform Septal Occluders (ein permanent implantiertes System) zur Therapie nach einem kryptogenen Schlaganfall in Verbindung mit einem persistierenden Foramen ovale (PFO, Herzfehler aufgrund einer angeborenen dauerhaften Öffnung zwischen den beiden Herzvorhöfen, wodurch der Verschluss eines Hirngefäßes bzw. Schlaganfall ansonsten unklarer Ursache bedingt werden kann) konnten wir demonstrieren, dass es gesundheitspolitisch, volkswirtschaftlich und bezogen auf das Patientenbefinden sinnvoll ist, dieses vergleichsweise teure Produkt einzusetzen, obwohl dies betriebswirtschaftlich für das einzelne Krankenhaus aufgrund des gegebenen Vergütungssystems von Nachteil ist.“
Hilfe bei der „grünen“ Transformation
Somit weise das VBP-Konzept den Weg zu einer Beschaffungsphilosophie, die nicht mehr an Produktpreisen und Kosten ausgerichtet sei, sondern jeder Beschaffungsentscheidung die Werteffekte eines Produkts für Patienten, Mitarbeiter, Krankenhaus, Umwelt und Gemeinde zugrunde lege, wie von Eiff sagt. „Dafür bedarf es jedoch eines neuen ‚wertorientierten’ Vergütungssystems, das medizinische Leistungen in evidenzbasierten Behandlungspfaden unter Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Opportunitätskosten vergütet.“ Bis dahin sei es noch ein weiter Weg. „Wir werden aber genauso darüber diskutieren, welche Maßnahmen Krankenhäuser, Industrie und Einkaufsgemeinschaften konkret durchführen können, um Lieferschwierigkeiten zu begegnen. In diesem Zusammenhang geht es ebenso um Maßnahmen auf dem Weg zu einer ‚grünen Transformation’.“
Die Podiumsdiskussion „Resilienz von Lieferketten durch Kooperation – Erfahrungen, Erwartungen und Chancen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Beschaffungsmanagement“ findet am 17. Mai 2023, von 9.00 bis 10.30 Uhr, statt.